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Neuer Mindestlohn in der Türkei: Ein Überblick über den Hintergrund und die Folgen

Immigration

Globale Payroll

Autor

Das Deel-Team

Letzte Aktualisierung

24 Februar, 2025

Veröffentlicht

24 Februar, 2025

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine gesetzliche Regelungen zum Mindestlohn in der Türkei

Die Türkei im internationalen Vergleich

Die jüngste Entwicklung

Folgen für Arbeitnehmer:innen, Arbeitgeber:innen und die Wirtschaft

Sie möchten als Unternehmen in der Türkei tätig werden?

Das Wichtigste in Kürze
  • Zum Jahreswechsel erhöhte die Türkei den gesetzlichen Mindestlohn um 30  % auf umgerechnet etwa 600 Euro.
  • Wichtigstes Ziel dieser Erhöhung ist die Steigerung der Kaufkraft der Bevölkerung im Zuge stark steigender Lebenshaltungskosten aufgrund von galoppierender Inflation.
  • Viele türkische Arbeitnehmer:innen haben nun mehr Geld, um ihre täglichen Kosten zu decken. Arbeitgeber:innen hingegen haben hierdurch mit höheren Lohnkosten zu kämpfen und es besteht die Gefahr, dass die Erhöhung die Inflation weiter anheizt.

Zum Jahreswechsel erhöhte die Türkei den gesetzlichen Mindestlohn um 30  %. Der neue monatliche Mindestlohn liegt nun bei 22.104 Lira, umgerechnet etwa 600 Euro (Stand: Februar 2025). Doch was genau steckt hinter dieser Maßnahme und welche Folgen für Arbeitnehmer:innen, Arbeitgeber:innen und die Wirtschaft sind zu erwarten?

Allgemeine gesetzliche Regelungen zum Mindestlohn in der Türkei

Der gesetzliche Mindestlohn ist seit 1951 ein zentraler Bestandteil der türkischen Arbeitsmarktpolitik:

  • Laut Artikel 55 der türkischen Verfassung ist der Staat dazu verpflichtet, einen gerechten Mindestlohn festzulegen, der Arbeitnehmer:innen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und das Existenzminimum sichert.
  • Artikel 39 des türkischen Arbeitsgesetzes sieht eine Mindestlohngrenze für alle türkischen Arbeitnehmer:innen vor, legt jedoch keine bestimmte Lohnuntergrenze fest.
  • Die Mindestlohn-Feststellungskommission (Asgari Ücret Tespit Komisyonu) des türkischen Ministeriums für Arbeit und Soziale Sicherung überprüft den Mindestlohn mindestens alle zwei Jahre und passt ihn entsprechend an. Dabei berücksichtigt sie die Inflation, die Lebenshaltungskosten und die gesamtwirtschaftliche Lage. Der so festgelegte Mindestlohn bezieht sich auf den Bruttolohn, also ohne Abzüge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Die Kommission setzt sich zusammen aus Vertreter:innen der Regierung, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber:innenverbände. Dies soll soziale und wirtschaftliche Interessen in Einklang bringen.

Wie in Deutschland auch sind also alle Arbeitgeber:innen in der Türkei gesetzlich verpflichtet, den von der Mindestlohnkommission festgelegten Mindestlohn zu zahlen. In Ausnahmefällen, etwa in bestimmten Sektoren oder bei Auszubildenden, können Unternehmen allerdings auch von der Mindestlohnregelung abweichen.

Der Mindestlohn ist die Grundlage für die Bezahlung von etwa 9  Millionen türkischen Arbeitnehmer:innen, nach offiziellen Angaben etwa 40  % der Beschäftigten. Das sind vor allem Menschen, die in weniger qualifizierten und niedrig bezahlten Berufen arbeiten, aber auch Angestellte in Sektoren wie Einzelhandel, Gastronomie und Fertigung. Das zeigt, dass der Mindestlohn nicht nur eine untere gesetzliche Lohnschwelle ist, sondern dass ein großer Teil der türkischen Arbeitnehmerschaft tatsächlich in dieser Höhe entlohnt wird. In vielen europäischen Ländern ist der Anteil der Mindestlohnempfänger deutlich geringer. Das deutet darauf hin, dass das allgemeine Lohnniveau in der Türkei vergleichsweise niedrig ist.

Die Türkei im internationalen Vergleich

Trotz der jüngsten Erhöhung liegt der türkische Mindestlohn immer noch deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Innerhalb der EU variieren die Lohnuntergrenzen erheblich. Laut Eurostat lagen die monatlichen Mindestlöhne im Jahr 2024 zwischen 477 € in Bulgarien und 2.571 € in Luxemburg. Länder wie Frankreich und die Niederlande verzeichneten Mindestlöhne über 1.500 € pro Monat, während sie in Staaten wie Polen, Griechenland und Portugal zwischen 1.000 € und 1.500 € lagen. In Deutschland beträgt der gesetzliche Mindestlohn seit dem 1.  Januar 2025 12,82 € pro Stunde. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht das einem monatlichen Bruttolohn von etwa 2.220 €.

Zwar sind die Lebenshaltungskosten in der Türkei niedriger als in vielen europäischen Ländern. Dennoch bleibt der türkische Mindestlohn im internationalen Vergleich auf relativ niedrigem Niveau und Mindestlohnempfänger in der Türkei haben eine geringere Kaufkraft als in vielen EU-Ländern. Im internationalen Vergleich ist die Türkei also trotz höherem Mindestlohn weiterhin ein Land mit niedrigen Arbeitskosten, da das Lohnniveau deutlich geringer ist als im europäischen Durchschnitt.

Allerdings gibt es weniger Lohnkostenvorteile als in anderen Ländern Südosteuropas. Das liegt vor allem an hohen Lohnnebenkosten. Die Sozialabgaben liegen insgesamt bei mindestens 36,5  % des Bruttolohns. Unter den OECD-Ländern nimmt die Türkei damit einen der vorderen Plätze ein. Andererseits ist die Produktivität in der Türkei relativ hoch, das Land hat eine gute strategische Lage zwischen Europa und Asien und eine junge Bevölkerung, also ein dynamisches Arbeitskräftepotenzial. Große Bekleidungsunternehmen lassen ihre Artikel daher oft in der Türkei fertigen.

In der Türkei tätige ausländische Firmen zahlen in der Regel höhere Löhne und bieten ihren Beschäftigten mehr Zusatzleistungen als türkische Arbeitgeber:innen, etwa die in der Türkei weit verbreiteten Gratifikationen und Prämien oder zusätzliche Monatsgehälter. Internationale Unternehmen berechnen ihre Arbeitskosten oft in Euro oder US-Dollar, sodass sie sinken, wenn die Lira wie jetzt an Wert verliert. Daher können Arbeitgeber:innen aus dem Ausland etwaige Lohnerhöhungen bei einer Abwertung der türkischen Währung vorübergehend kompensieren. Auf Euro-Basis erhöhten sich die Löhne seit 2023 allerdings deutlich.

Die jüngste Entwicklung

Wegen der hohen Inflation hat die türkische Regierung den Mindestlohn seit 2022 schon sechsmal erhöht. Die jüngste Erhöhung erfolgte vor dem Hintergrund stetig steigender Lebenshaltungskosten. Die Türkei hat seit Ende 2021 mit hoher Inflation zu kämpfen. Auslöser war eine Währungskrise, bei der die türkische Lira gegenüber dem Dollar einen Wertverlust von rund 35  % verzeichnete. Die Kaufkraft der Bevölkerung ist inzwischen erheblich geschmälert. Vor allem ärmere und mittlere Einkommensschichten trifft dies hart. Die Regierung sieht sich unter zunehmendem öffentlichem Druck, die Lebenshaltungskosten zu senken und so die soziale Ungleichheit zu verringern. Die letzte deutliche Erhöhung des Mindestlohns soll die Lage von Millionen von Arbeitnehmer:innen also spürbar verbessern.

Es bestehen Hoffnungen, dass die Maßnahme insgesamt dringend benötigte positive gesellschaftliche Effekte hat. Befürworter, vor allem Vertreter der Regierungspartei, erachten die Entscheidung als notwendig, um die Kaufkraft der Bürger zu stärken, die breite Masse der Arbeitnehmerschaft zu entlasten und ihnen mehr finanzielle Sicherheit zu bieten. Ökonom:innen rechnen jedoch damit, dass die Verbraucherpreise und die Arbeitslosigkeit durch die Erhöhung der Lohnuntergrenze weiter steigen.

Folgen für Arbeitnehmer:innen, Arbeitgeber:innen und die Wirtschaft

Im Einzelnen ist mit folgenden Auswirkungen zu rechnen:

Folgen für Arbeitnehmer:innen:

Für Arbeitnehmer:innen in der Türkei kann sich der neue gesetzliche Mindestlohn sowohl positiv als auch negativ auswirken.

  • Verbesserung der finanziellen Lage von Geringverdienenden: Geringverdienende profitieren einerseits von den regelmäßigen Erhöhungen, da sich ihre finanzielle Situation verbessert und ihre Kaufkraft steigt. Das kann dazu beitragen, Armut zu verringern und soziale Ungleichheiten abzumildern.
  • Formelle Beschäftigungsverhältnisse werden attraktiver: Ein angemessener Mindestlohn erhöht auch die Attraktivität formeller Beschäftigungsverhältnisse. Dadurch erhalten mehr Arbeitnehmer:innen Zugang zu Sozialleistungen und arbeitsrechtlichem Schutz.
  • Mindestlohn als Inflationstreiber: Auf der anderen Seite ist ein steigender Mindestlohn auch mit Schwierigkeiten verbunden. Eine der größten Folgen ist die Inflation, da höhere Löhne oft zu steigenden Preisen für Waren und Dienstleistungen führen. Dies kann die Lebenshaltungskosten in die Höhe treiben. Positive Effekte einer Lohnerhöhung können so teilweise wieder aufgehoben werden.
  • Arbeitsplatzabbau: Zudem kann ein höherer Mindestlohn dazu führen, dass Unternehmen mit engen Margen Arbeitsplätze abbauen oder Neueinstellungen vermeiden, um gestiegene Lohnkosten auszugleichen.
  • Anstieg informeller Beschäftigungsverhältnisse: In einigen Fällen weichen Arbeitgeber:innen auf informelle Beschäftigungsverhältnisse aus, um die gesetzlichen Lohnvorgaben zu umgehen. Dies gefährdet die soziale Absicherung von Arbeitnehmer:innen.
  • Erhöhte Sozialabgaben: Darüber hinaus steigen mit dem Mindestlohn auch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Das relativiert die Nettoeffekte für Arbeitnehmer:innen.

Insgesamt verbessert der Mindestlohn die finanzielle Lage vieler Arbeitnehmer:innen. Doch seine wirtschaftlichen Folgen hängen stark ab von der allgemeinen Wirtschaftslage, der Inflationsentwicklung und der Beschäftigungssituation im Land. Arbeitnehmer:innen bietet sich durch die Anhebung des Mindestlohns die Perspektive auf mehr Kaufkraft. In Zeiten hoher Inflation ist dies von besonderer Bedeutung, da sie so ihre täglichen Kosten für Grundnahrungsmittel, Mieten und Versorgungsleistungen besser decken können. Da die Mindestlohnerhöhung selbst die Inflation voraussichtlich weiter in die Höhe treibt, verpufft dieser Effekt aber möglicherweise. Viele Menschen haben weiterhin mit einer instabilen finanziellen Lage zu kämpfen.

Folgen für Arbeitgeber:innen:

Auch für Arbeitgeber:innen hat der neue gesetzliche Mindestlohn in der Türkei sowohl positive als auch negative Folgen.

  • Konsument:innen mit höherer Kaufkraft: Einerseits steigert eine geregelte Mindestlohnerhöhung die Kaufkraft der Arbeitnehmer:innen. Dies führt zu einer höheren Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen und kommt letztlich der Wirtschaft zugute. Vom Binnenkonsum abhängige Unternehmen profitieren somit von einer stärkeren Kaufkraft der Verbraucher.
  • Motiviertere Mitarbeiter:innen: Zudem kann ein angemessenes Lohnniveau die Motivation und Produktivität der Mitarbeiter:innen steigern. Einige Arbeitgeber:innen betrachten höhere Löhne als Chance, um mehr Anreize für qualifizierte Mitarbeiter:innen zu schaffen und sie im Unternehmen zu halten. Das verbessert langfristig die Effizienz im Unternehmen und verringert die Personalfluktuation.
  • Höhere Lohnkosten: Andererseits stellt ein steigender Mindestlohn viele Arbeitgeber:innen vor finanzielle Herausforderungen. Höhere Lohnkosten führen oft zu steigenden Betriebsausgaben. Das gilt nicht nur für Mindestlohnbezieher. Denn viele türkische Unternehmen orientieren sich bei den Lohnsteigerungen aller Beschäftigten an den Erhöhungen der Lohnuntergrenze. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, das Rückgrat der türkischen Wirtschaft, können dadurch in Schwierigkeiten geraten, da sie mit engen Gewinnmargen arbeiten. Sie können in diesem Fall entweder Preise für ihre Produkte und Dienstleistungen anheben oder Maßnahmen zur Kostenreduktion ergreifen, etwa Personalabbau, reduzierte Arbeitszeiten oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen in günstigere Regionen.
  • Höhere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern: Zudem erhöhen sich durch Mindestlohnanpassungen auch die Sozialversicherungsbeiträge und Steuerabgaben für Unternehmen. Sie müssen nicht nur den Lohn, sondern auch Sozialabgaben und Abfindungen entsprechend anpassen. Das führt zu einer weiteren finanziellen Belastung und kann Unternehmen dazu veranlassen, Investitionen zurückzuhalten und Wachstumspotenziale nicht vollständig auszuschöpfen.
  • Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit: Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten setzt ein hoher Mindestlohn durch die Erhöhung der Lohnstückkosten Arbeitgeber:innen zusätzlich unter Druck. Er beeinträchtigt so die Wettbewerbsfähigkeit vor allem im internationalen Vergleich.

Die Auswirkungen des Mindestlohns auf Arbeitgeber:innen hängt stark ab von der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Entwicklung der Inflationsrate ab. Die Frage ist letztlich, ob Unternehmen die mit einem hohen Mindestlohn verbundenen steigenden Kosten weitergeben oder durch Effizienzsteigerungen ausgleichen können.

Gesamtwirtschaftliche Folgen

Seit ihrer Wiederwahl im Juni 2023 verfolgt die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine restriktive Geldpolitik. Oberstes Ziel ist eine Senkung der Inflation, die im November 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 62  % lag.

Die inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretene türkische Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan hatte die Zinssätze deshalb innerhalb weniger Monate von 8  % auf 45  % angehoben. Zwischenzeitlich lagen die Leitzinsen sogar bei 50  %. Trotz erster Erfolge ist die Teuerung immer noch auf sehr hohem Niveau, auch wenn sie inzwischen in geringerem Tempo steigt. Im Dezember 2024 stiegen die Verbraucherpreise „nur“ noch um 44,4  %. Angesichts der nun nachlassenden Inflation senkte der neue Zentralbankchef Fatih Karahan die Leitzinsen jüngst wieder auf 45  %.

Auch wenn dem türkischen Arbeitsminister Vedat Işıkhan zufolge die Erhöhung des Mindestlohns die Beschäftigten in der Türkei vor Inflation schützen soll, besteht die Sorge, dass sie ganz im Gegenteil die Inflation weiter anheizen könnte. Unternehmen könnten die gestiegenen Lohnkosten durch höhere Preise an die Verbraucher:innen weitergeben.

Weiterhin könnten Unternehmen ihre Personalstrategien überdenken, um höhere Lohnkosten zu kompensieren, etwa durch Automatisierung, Auslagerung oder die Reduzierung von Arbeitsplätzen. Dies könnte zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen.

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